Markus Brunnschneider, Fachbereichsleiter Spiel- & Taktikanalyse, Scouting und Kaderplanung am Internationalen Fußball Institut analysiert das erste Gruppenspiel des DFB-Teams gegen Japan: "Dieses Spiel wird nicht 0:0 enden!"

Japans Kader:

Deutschland trifft gegen Japan auf viele bekannte Gesichter aus der Bundesliga. Acht der 26 nominierten Spieler kicken aktuell in der 1. und 2. Bundesliga. Insgesamt verdienen knapp drei Viertel (73,1%) der Kaderspieler ihr Geld bei europäischen Clubs. Die hierzulande bekanntesten Japaner sind: die Offensivspieler Daichi Kamada von Europa-League-Champion Eintracht Frankfurt und Ritsu Dōan vom aktuellen Tabellenzweiten SC Freiburg sowie in der Defensive der Gladbacher Kō Itakura und Urgestein Hiroki Sakai (32), von 2012 bis 2016 bei Hannover 96, jetzt bei den Urawa Red Diamonds.

Japans Spiel gegen den Ball:

So sieht Japans Spielanlage gegen den Ball aus: hohes Mittelfeld-Pressing mit situativem Angriffs-Pressing. Auf diese Art wollen die Japaner den Gegner früh unter Druck setzen, selbst zu hohen Balleroberungen kommen oder unkontrollierte lange Bälle erzwingen. Dank der Dynamik und Agilität ihrer Offensivspieler gelingt es der japanischen Elf häufig, gute Pressing-Momente zu initiieren. Auffällig ist in diesen Situationen die Zweiteilung der Mannschaft: Sechs Spieler (Sturm und Mittelfeld) gehen ins Pressing. Die Viererkette bleibt tief in der Absicherung. Das eröffnet der deutschen Mannschaft die Möglichkeit, mit gezieltem Anspielen des Raumes vor der japanischen Abwehr, etwa über den tiefen Sechser, Japans Pressing auszuhebeln.

Die letzte Linie der Japaner weist eine weitere Besonderheit auf: Vor allem die Innenverteidiger decken mannorientiert bis weit ins Mittelfeld durch. Das ist extrem und so ergeben sich Schnittstellen in der Abwehrlinie für das gezielte Anspiel in die Tiefe, was zum Beispiel Kai Harvertz mit Laufwegen aus dem Zwischenraum nutzen kann. Entscheidend für den Erfolg dieser Anspiele ist das Timing der gegengesetzten Laufbewegungen.

Ein weiteres wichtiges Detail ist, dass Japans letzte Linie Geschwindigkeitsnachteile gegenüber schnellen Flügelstürmern aufweist. Besonders auffällig war das im Spiel gegen Kanada auf der linken Seite. Hier könnte Hansi Flick im Spiel noch eine zusätzliche Trumpfkarte ziehen: Er verfügt über schnelle Optionen für diese Position, etwa in Serge Gnabry oder Karim Adeyemi.

Japans Spiel mit Ball:

Gegen Japans Offensive muss sich das DFB-Team vor allem auf viele Positionswechsel und tiefe Laufwege einstellen. Nach Möglichkeit versuchen die Japaner ihr Spiel flach vom Tor weg zu eröffnen, da ihre Stärke klar im flachen Passspiel und weniger in hohen, langen Bällen liegt. Werden sie durch hohen Gegnerdruck doch zum langen Ball gezwungen, konzentrieren sie sich auf den zweiten Ball.

Ein Schlüsselspieler im Spielaufbau ist der rechte Außenverteidiger Sakai, der eine höhere Positionierung in der Außenspur beim dynamischen Dreieraufbau einnimmt. Aus dieser Position versuchen die Japaner durch ihre hohe Qualität im tiefen Passspiel ihre dynamischen Offensivakteure hinter der letzten Linie des Gegners in Szene zu setzen.

Befinden sich die Japaner im hohen Spielaufbau, lautet die Devise bis zum angestrebten Torabschluss: Tiefe vor Breite! Deutschland muss sich also einen Plan zurechtlegen, um die vielen tiefen Laufwege der japanischen Stürmer und äußeren Mittelfeldspieler aus der letzten Linie zu verteidigen oder um zu verhindern, dass die Offensiven durch die technisch versierten Mittelfeldspieler in Szene gesetzt werden, wie beim 1:0 im letzten Testspiel gegen Kanada.

Schlüssel Standards:

Entscheidende Bedeutung wird in diesem Spiel den Standardsituationen zukommen: Japan verteidigt bei defensiven Freistößen und Eckbällen gegen den Mann. Bedingt durch die Größennachteile der Japaner gegenüber der deutschen Mannschaft – kein Spieler über 1,90m, nur zwei Spieler über 1,85m groß – ergeben sich für Deutschland sehr gute Erfolgsaussichten in den Luftzweikämpfen.

So kann Deutschland Japan aushebeln: Je nach vorderstem Stürmer gibt es zwei Varianten, erst das japanische Pressing und dann deren Defensivreihe zu überwinden. Läuft ein schneller, tiefer Spieler wie etwa Kai Havertz als Neuner auf, dann spielt Deutschland den tiefen Ball in den Rücken der Abwehr. Nimmt Niclas Füllkrug diese Position ein, dann wird der Ball auf den Stümer gespielt. Dieser legt auf den Zehner oder die zweite Spitze ab, die in den Zwischenraum fällt. Wichtig ist die gegenläufige Laufbewegung in der letzten Linie. Verteidigt Japan tiefer als erwartet, muss Hansi Flick taktisch und personell anpassen und stärker auf Flanken in die Box setzen. Hier haben die Japaner große Probleme wegen ihrer Größennachteile. David Raum ist für diese Variante als Flankengeber perfekt und Niclas Füllkrug wäre der ideale Abnehmer im Zentrum.