Frauke Wilhelm...

...ist Mitarbeiterin des Fachbereichs Aus- und Weiterbildung am Internationalen Fußball Institut. Als Programmanagerin Sportpsychologie gehören zu ihren Aufgaben die Konzeption und Durchführung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen. Außerdem berät und coacht die studierte Diplom Psychologin und Sportpsychologin im professionellen Fußball zu Themen aus dem Bereich der (Sport-) Psychologie.

Frauke Wilhelm hat viele Jahre Berufserfahrung im professionellen Fußball durch die Betreuung von Profimannschaften, Junioren Nationalmannschaften und die Arbeit an einem Nachwuchsleistungszentrum & ist deswegen die optimale Expertin zur Beantwortung unserer Fragen im Bereich Sportpsychologie im Fußball:

Liebe Frauke, als Sportpsychologin bist du hautnah dran an der Talentförderung im Fußball. Wie hat sich die Talentförderung in den letzten Jahren verändert?

Aus sportpsychologischer Sicht betraf die größte Veränderung die Lizenzierung der Nachwuchsleistungszentren: Die DFL hat festgelegt, dass Sportpsycholog*innen an den Leistungszentren beschäftigt werden müssen. Für die Zentren der Bundesliga sogar mindestens im Umfang einer Vollzeitstelle. Seitdem ist für Spieler an den LZ Sportpsychologie ein ganz natürlicher Bestandteil ihrer Ausbildung. Außerdem haben sie nun Ansprechpartner*innen vor Ort, die sie bei mentalen Herausforderungen im sportlichen oder persönlichen Bereich unterstützen können. Auch jede U-Nationalmannschaft wird mittlerweile durch Sportpsycholog*innen begleitet. Ich habe in den letzten vier Jahren Mannschaften aus dem Bereich U18 bis U20 betreut und gemerkt, dass die Spieler hinsichtlich mentaler Stärke deutlich besser geschult sind als vor einigen Jahren. Insgesamt stehen sie der Sportpsychologie auch viel positiver gegenüber.

Welche Rolle hat die Corona Pandemie dabei gespielt?

Die Corona Pandemie hat Kinder und Jugendliche allgemein hart getroffen. Die mentale Gesundheit in dieser Altersgruppe hat sich deutlich verschlechtert und insbesondere Ängste und Depressionen treten nun noch häufiger auf. Gerade auch für die Talente an den NLZ ist es eine sehr schwierige Zeit gewesen, da sich ihr Alltag komplett verändert hat. Wenn junge Leistungssportler plötzlich weder zur Schule noch zum Sport gehen können, bleibt nicht mehr viel von ihrem gewohnten, sehr strukturierten Tagesablauf. Umso wichtiger war und ist es, dass an den NLZ Sportpsycholog*innen beschäftigt sind, die hier besondere Angebote schaffen konnten. Viele Kolleg*innen sind unglaublich kreativ gewesen und haben großartige virtuelle Projekte mit Mannschaften durchgeführt. Darüber hinaus waren sie gute Ansprechpartner*innen für Spieler, aber auch Trainer und andere Mitarbeiter.

Wo siehst du Optimierungsbedarf, wenn es um die sportpsychologische Ausbildung und Begleitung von Talenten geht?

Die sportpsychologische Ausbildung in den Bereichen „Mentale Stärke“ und „Teamfähigkeit“ sollte noch deutlich verstärkt werden. Beide Bereiche sind eine entscheidende Grundlage für die Leistungsfähigkeit der Athlet*innen sowohl im sportlichen Bereich, aber auch in der Schule oder später in weiteren beruflichen Kontexten. Deswegen lohnt es sich in jeder Hinsicht, hier zu investieren und Spieler*innen umfangreich zu schulen und zu entwickeln. Besonders wichtig finde ich es allerdings auch, die Top-Talente in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, sie auf ihrem Karriereweg psychologisch eng zu begleiten und so gut es geht, auf ein Leben als Profifußballer vorzubereiten. Der Beruf des Fußballprofis ist nicht nur ein absoluter Traum, sondern aus meiner Sicht auch ein psychosozialer Risikoberuf. Der permanente Leistungsdruck und die sozialen Medien sind nur zwei von vielen Komponenten, die für die jungen Menschen sehr große Herausforderungen darstellen und häufig Überforderungen mit sich bringen. Um dem gewachsen sein zu können, brauchen die Spieler Unterstützung innerhalb und außerhalb des Vereins. In diesem Bereich sehe ich noch sehr viel Entwicklungspotenzial.

Haben die Trainer in den NLZ auch Verbesserungspotenzial? Wenn ja, in welchen Bereichen?

Alle Trainer, die an einem NLZ landen, sind fußballerisch auf sehr hohem Niveau ausgebildet. Neben den fußballfachlichen Kompetenzen brauchen Trainer aber vor allem Kompetenzen im zwischenmenschlichen Bereich, um erfolgreich sein zu können. Führungsfähigkeit, Kommunikationsverhalten und Beziehungsaufbau zu Spielern und Staff lassen sich nicht delegieren und sind Schlüsselkompetenzen für den Job als Trainer. Im Jugendbereich kommt noch hinzu, dass Trainer auch pädagogisch und entwicklungspsychologisch geschult sein sollten, um mit jungen Spieler*innen bestmöglich agieren zu können. Diese Themen werden in den Lizenzlehrgängen nur in sehr geringem Umfang bearbeitet und viele Trainer suchen zusätzliche Möglichkeiten, sich in diesem Bereich fortzubilden. Wir haben daher am Internationalen Fußball Institut das Zertifikat „Sportpsychologische Kompetenzen für Trainer*innen und Manager*innen“ entwickelt, um genau diesen Bedarf zu decken.

Stimmt es, dass die meistens Nachwuchstrainer eher auf den eigenen Erfolg, als auf die bestmögliche Ausbildung der Talente schauen?

In einem unsicheren Arbeitsumfeld, in dem z. B. viele Verträge nur befristet sind, fühlen sich Mitarbeitende häufig sehr unter Druck und haben den Eindruck, ständig um ihre Position und ihren Job kämpfen zu müssen. Sie gucken daher verständlicherweise verstärkt auf den eigenen Erfolg. Ich fürchte, dass das leider auch auf viele NLZ zutrifft. Hinzu kommt noch, dass die meisten Trainer eine hohe Eigenmotivation haben und auch deshalb persönlich erfolgreich sein wollen. Das eigentliche Problem ist jedoch, dass für die Bewertung von Trainerleistungen häufig nur der Tabellenplatz herangezogen wird. Dabei wissen doch eigentlich alle Beteiligten, dass dieser von sehr vielen Faktoren abhängt. Gerade im Fußball, wo wir davon ausgehen, dass nur in circa zwei Dritteln aller Spiele die bessere Mannschaft gewinnt. Trainer im Jugendbereich sind aber eigentlich dann erfolgreiche Trainer, wenn es ihnen gelingt, ihre Spieler bestmöglich fußballerisch zu entwickeln und sie sowohl sportlich als auch menschlich und persönlich zu stärken. Definiert man den Erfolg eines Trainers so, ist es im Sinne aller Beteiligten, wenn sie genau danach streben.

Was macht deiner Meinung nach einen guten Trainer aus?

Ein guter Trainer sollte aus meiner Sicht empathisch sein, tragfähige Beziehungen aufbauen und Menschen mitreißen können. Er sollte klar und wertschätzend kommunizieren können und verlässlich sowie authentisch agieren. Er braucht Entscheidungsstärke und eine möglichst große emotionale Stabilität, um den Job viele Jahre ausüben zu können. Wenn er dann noch in der Lage ist, auch für Spaß zu sorgen, ist es wirklich super.

Wie sollte sich die deutsche Trainerausbildung vor allem im sportpsychologischen Bereich weiterentwickeln?

Trainer könnten vor allem auf ihre Aufgabe als Führungskraft besser vorbereitet werden. Sportpsychologische und pädagogische Inhalte sollten daher bei den Ausbildungen auf allen Lizenzstufen eine größere Rolle spielen. Ganz wichtig finde ich es außerdem, Trainerausbildung als einen Prozess zu verstehen. Dieser Ausbildungsprozess läuft immer weiter und es gehört unbedingt dazu, Trainer auch nach ihrer Regelausbildung on-the-Job zu begleiten und individuell weiterzuentwickeln. Das bedeutet für Vereine, z. B. den Bereich der Trainerentwicklung auf- bzw. auszubauen. Das bedeutet aber auch für Trainer, sich immer wieder nach passenden Fort- und Weiterbildungen umzuschauen oder sich durch einen Coach begleiten zu lassen. In der Wirtschaft ist dies für Führungskräfte absolut üblich.